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Die Radikale Mitte

Ein Label ohne Labelkompetenz

Updated: May 19, 2021

Als Frau hat man es schwer in der Musikindustrie - sagen zumindest viele. Ich habe zum Glück selten diese Erfahrung gemacht. Einmal wurde ich im Backstage-Bereich gefragt, ob ich die Freundin des Künstlers sei (ich war als Managerin dort)…mehr ein ehrlicher, nerviger Fehler, vielleicht auch ein Flirtversuch. Echte sexistische Kommentare und Erfahrungen sind mir glücklicherweise immer erspart geblieben. Eine Unterrepräsentation von Frauen in der Musikindustrie, vor allem auf der kreativen Seite (KünstlerInnen, SongwriterInnen, ProduzentInnen, MusikerInnen etc.), ist dennoch nicht zu leugnen. 2019 waren nur 21,6% der Top100 Songs der Billboard Charts von Künstlerinnen interpretiert und nur 12,6% der Songs von Frauen geschrieben.


Ein besonders hartes Pflaster für Frauen ist die deutsche Rapszene. Nicht umsonst steht dieses Genre oft in der Kritik aufgrund von Rappern wie zum Beispiel Fler, der Frauen offensichtlich objektiviert und sich mit Textzeilen wie "Will keine Frauen, will Hoes. Sie müssen blasen wie Pros." (Fler - ‘FAME’) von seinen Fans feiern lässt. In den letzten Jahren scheint der Deutschrap aber immer weiblicher geworden zu sein. Rapperinnen wie Loredana, Shirin David, Juju, Nura (nur einige Beispiele) feiern große Erfolge und teilen sich mit ihren männlichen Kollegen die Spitzen der Playlisten. Auch ich als Managerin arbeite mit einer neuen Rapperin an ihrem Erfolg. Dafür sind wir auf der Suche nach den richtigen Partner*innen. Das Projekt ist sehr feministisch angelegt - ihre Texte sollen vor allem auf Sexismus im Rap aufmerksam machen. Genau aus diesem Grund wird ein neu gegründetes Label auf uns aufmerksam und kontaktiert uns mit dem Wunsch auf Zusammenarbeit. Das Label wäre üblicherweise für die Vermarktung und den Vertrieb von ihrer Musik zuständig. Guter Dinge verabreden wir uns für ein Gespräch. Während des Gesprächs merken wir jedoch schnell, dass eine Zusammenarbeit nicht in Frage kommen wird. Here is why:


Zunächst besteht das Label gar nicht aus Professionellen der Musikindustrie, sondern ist vielmehr eine Frauenband, die sich - wahrscheinlich auch aufgrund fehlender Partner*innen für das eigenen musikalische Projekt - entschieden hat ein feministisches* Label zu gründen. Das Gespräch verläuft von Anfang an völlig unprofessionell und nachdem sie reihum erzählt haben wer welches Instrument in der Band spielt, gehen sie direkt zum Grund ihrer Gründung über. Der Grund ist nicht etwa, Künstler*innen unter Vertrag zu nehmen, um diese erfolgreich zu machen, sondern um Sexismus in der Industrie zu bekämpfen. Rückblickend auf den ersten Teil dieses Textes ist dieser Ansatz, vor allem bezogen auf Rapmusik, erstmal nicht verkehrt und würde gut zu der Einstellung meiner Künstlerin passen - die Frage stellt sich jedoch, warum dann ein Label gründen und keine Initiative gegen Sexismus in der Musikindustrie? Denn nachdem ihr ‘rant’ über die männlich dominierte Industrie vorbei ist, erzähle ich was wir uns von einer Zusammenarbeit wünschen würden: Geld, Expertise und ein Netzwerk. Turns out, they don’t have any of those things...


Nachdem ich ihnen für ihre Zeit danke und sage, dass wir unter diesen Umständen leider nicht auf den selben Nenner kommen werden, verlieren sich die Label-Chefinnen in einer Endlosschleife von Argumenten, was sie uns außer Geld, Expertise und einem professionellen Netzwerk bieten können. Dazu gehören vor allem ein großes feministisches Netzwerk und intrinsische Motivation. Das ganze Gespräch wird mehr und mehr zu einer reinen Zeitverschwendung, bis wir die Spitze all der tollen Dinge, die sie uns bieten können erreicht haben: psychologische Hilfe bei Hate-Kommentaren von Männern. Wir stellen uns wieder die Frage: Warum ein Label gründen und nicht eine Seelsorgehilfe für Frauen in der Musikindustrie? Spätestens ab dem Zeitpunkt verstehe ich nicht mehr um was es hier gehen soll. Musik? Meine Künstlerin erfolgreich machen? Oder einfach nur irgendwie gegen etwas sein? Es ist meiner Meinung nach immer gut gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen oder auch aktiv gegen etwas zu arbeiten, dass man ändern möchte. Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich selber Feministin bin und aktiv Frauen in der Musikindustrie unterstütze, unter Anderem auch durch die Gründung eines Netzwerks/Initiative - aber wo liegt der Unterschied?


Der Unterschied liegt darin, dass wir mit Professionalität und feinfühliger Intelligenz Awareness schaffen wollen und durch verschiedene Expertisen Frauen in der Musik aktiv unterstützen. Dazu gehört ein professionelles Netzwerk, welches anderen Frauen die nötigen Kontakte oder Weiterbildungen ermöglicht. Aber auch ein offenes Gespräch und Diskussionen mit allen Geschlechtern in der Industrie, um an den richtigen Punkten anzusetzen und gemeinsam sinnvoll Veränderungen zu schaffen. Es ist wichtig zu verstehen, wo genau die verbleibenden Probleme liegen und mit welchen Personen und welcher Arbeit man Lösungen dafür möglich machen kann.


Wie dieses Label agiert und redet war dagegen ermüdend und ärgerlich. Mit reiner Wut und irrationalem Aktivismus etwas ändern zu wollen, von dem man selber keine Ahnung wird niemals funktionieren und nur abschrecken. Keine Künstlerin die auch nur ein kleines bisschen professionell ist und Ambitionen hat, wird mit diesem Label arbeiten wollen und deshalb werden diese Frauen mit ihrem Label nie erfolgreich sein. Das Label wirft ein schlechtes und unprofessionelles Bild auf Feminismus in der Musikindustrie. Meine Künstlerin vertritt eine linke, feministische Meinung und will diese an die breite Öffentlichkeit bringen. Um das zu schaffen will und muss sie mit Leuten arbeiten die wissen was sie tun, die sich mit ihr und ihrer Musik auseinandergesetzt haben und an sie glauben, ganz egal welches Geschlecht diese Menschen haben. Was dieses Label versucht beruht wahrscheinlich auf guten Absichten, aber feministischen Psycholog*innen werden Frauen nicht dabei helfen können, erfolgreich zu werden. Im Gegenteil, meine Künstlerin würde am Ende eher in ein radikales, aggressives und unsympathisches Image befördert werden, welches ihrer Musik nicht gerecht werden und schon gar nicht Erfolg bringen würde.


And we never called again.

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