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Die Radikale Mitte

FCK NZS!

Updated: May 27, 2021

(nach wahren Begebenheiten)


Nazis können nicht flirten! Vor kurzem war ich auf einem Festival, und neben uns zeltete ein Nazi (zumindest war sein Zelt über und über mit altindischen Glückssymbolen verziert). Er suchte gleich nach unserer Ankunft unbeholfen Kontakt, und da man in meiner Welt so selten Nazis trifft, war ich natürlich neugierig. Auf unsere Frage nach seinem Namen antwortete er, sein Name sei Hitch (ist das nicht dieser Date-Doktor?), und auf unsere etwas verdutzen Mienen hin erklärte er, er heiße eigentlich Philipp, aber er hasse seinen Namen, daher das Pseudonym (er hat wirklich das Wort Pseudonym gebraucht; gar nicht so dumm, dieser Nazi...). Er erzählte uns, dass er extra auf das Festival gefahren sei in der Hoffnung, dass hier endlich mal was ginge mit den Ischen, und dann ließ er sich zulaufen. Abends rannte er besoffen über den Zeltplatz und schrie verängstigte Mädchen an, er wolle sie ficken. So viel sei verraten: Die Erfolgsquote war mau (q.e.d.). Am Ende kamen die Freunde von Blau-Weiß und nahmen ihn mit.


Man hat es aber auch wirklich nicht leicht als Nazi. Schon als super-smarter Typ mit Traumjob, Swäg und einem Gesicht wie Brad Pitt (ich rede da aus Erfahrung) scheitert man mit ernüchternder Regelmäßigkeit an der Aufgabe, ein völlig durchschnittliches Mädchen von sich zu überzeugen. Die witzigsten Anmachsprüche ernten bei den meisten Damen nur ein müdes Lächeln, kein Wunder, dass „Baby, ich bin so arisch, das musst du erlebt haben“ auch nicht besser läuft. Und welche Frau mit ein bisschen Selbstrespekt würde sich heutzutage noch mit einem Typen abgeben, der nicht korrekt gendert und denkt, LGBTQ sei die Abkürzung für Leitgardebatallionstruppenquartier? Neulich erfuhr ich dann doch von einer Geschichte, die zu der Vermutung Anlass gibt, dass auch Nazis gelegentlich Game haben können, und zwar von meiner Freundin Naomi. Sie, die bildschöne Tochter äthiopischer Eltern, saß in der Straßenbahn in Dresden (wo denn sonst) und band gerade ihr krauses, unbändiges Haar zu einem Zopf zusammen, als ein dicker Mitdreißiger mit Glatze (ist es nicht schön, wenn sich Klischees so bestätigen?) auf sie zukam und gesenkten Hauptes einen Satz murmelte, der in Zukunft in jedem Dating-Ratgeber für Nazis zu finden sein dürfte: „Hey du, mein ganzes Leben schon hasse ich Ausländer, aber für dich würde ich’s mir nochmal überlegen!“. Ergriffen von solch einer radikalen Liebeserklärung gab sie ihm einen Kuss*, nun sind die beiden ein Liebespaar. Er engagiert sich bei den Grünen und begleitet sie in die Semper-Oper, umgekehrte Integration sozusagen. Also ich würde mich für keine Frau der Welt durch den Ring des Nibelungen quälen, aber ich bin ja auch kein Nazi...


Ihre Freundinnen von der Kunsthochschule verstehen die Welt nicht mehr und wenden sich von ihr ab. Such is modern life. Die aus lauter Akademikern bestehende postmoderne Linke hat ein Herz für jedes überprivilegierte Individuum, solange es nur schwul, weiblich, ausländisch oder non gender-binary ist (und nicht die postmoderne Linke kritisiert), aber die einzige Gruppe, die praktisch durch die Bank aus armen, ungebildeten Proletariern besteht, löst in ihnen nur Hass, Verachtung und dieses seltsam wohlige Behagen aus, das sie sich nicht erklären können. Ist das nicht witzig? Ich bin mir sicher, es gibt einen Grund für diesen Empathie-Blindspot, aber ich komm’ nicht drauf...


Jetzt möchte ich auf keinen Fall den Eindruck erwecken, ich sei Nazi-Versteher, ich kenne sie ja überhaupt nicht. Abgesehen von Hitch habe ich in letzter Zeit nur einen einzigen anderen, waschechten Nazi kennen gelernt, einen 70-jährigen Mann im ICE, der sich mir ab Frankfurter Hbf gegenüber setzte. Kaum auf seinen vier Buchstaben gelandet, fing der Nazi an, mich in ohrenbetäubender Lautstärke zuzutexten - wie alte Menschen das eben manchmal so machen - sodass selbst meine 350€ Bose Noise Cancellation Headphones mit Sonderfunktion für rechtes Getöse den Dienst versagten. Nachdem er sich als AFD-Wähler zu erkennen gegeben hatte, erzählte er mir, er plane sich umzubringen. Ein paar Fahrgäste klatschten. Auf seine Gründe hin befragt, faselte er irgendwelches inkohärentes Zeug, das einem nichts klarmachte, außer dass sich dieser alte, weiße cis-Mann von Gott und der Welt verlassen fühlt. Als guter Hobby-Therapeut wollte ich natürlich von ihm wissen, ob es denn etwas gäbe, das ihm neuen Lebensmut schenken könnte. Er antwortete lakonisch: „Ne geile Vierzigjährige!“ (Ist es nicht schön, wenn sich Klischees so bestätigen?). Auf meinen Einwand, ob es nicht vielleicht auch eine geile 60-Jährige täte, ließ er verlauten, dass er keinen Bock auf alte Omas habe. Es ist aber auch wirklich nicht leicht mit den Nazis, wenn sie ihren Platz in der Gesellschaft nicht einsehen wollen und permanent nach den Sternen greifen, als hätten auch ihre Eltern ihnen erzählt, sie seien etwas ganz Besonderes und könnten alles erreichen. Das sahen auch die anderen Mitreisenden so, von denen nun einige aufstanden und ihn aufs Zivilisierteste darum baten, doch endlich sein dummes Maul zu halten. Was folgte, war ein lehrbuchmäßiges Beispiel seniler Reaktanz, und sein ohnehin schon verhängnisvoll lautes Organ beschallte nun den ganzen Zug, indem er mir erklärte, wir würden uns von solchen Affen doch nicht den Mund verbieten lassen, schließlich sei das immer noch ein freies... Viel weiter kam er nicht, denn eine mittlerweile stattliche Gruppe junger Männer mit Hornbrillen und Röhrenjeans komplementierte den Nazi nun so benigne wie möglich, so gewaltvoll wie nötig aus dem Abteil. Hipster sind, wenn es drauf ankommt, eben doch ganze Kerle. Als sie sich wieder setzten, waren sie sichtlich zufrieden mit sich, der Tapferste von ihnen bekam von seiner Freundin einen Kuss auf die Wange. Im Gang angekommen, fing der alte Mann plötzlich an zu heulen. Ein paar Mal schielte er verstohlen in meine Richtung, ob ich nicht aufstehen und mich solidarisch mit ihm in den Gang stellen würde, mein zuvor gezeigtes Interesse offenbar mit Sympathie verwechselnd. Ich starrte vor mich hin und überlegte, warum Nazis eigentlich immer so notgeil sind, aber ich kam nicht drauf...


Ich wurde also abermals um die Gelegenheit gebracht, zu einem echten Nazi-Versteher zu avancieren, und so kann ich lediglich mutmaßen, dass sich das Klischee manchmal vielleicht tatsächlich so plump und simpel bestätigt, wie man es landläufig meint, und untervögelte Männer, die von allen Seiten nur Ablehnung erfahren, leicht auf dumme Gedanken kommen. Nun scheint es kein gangbarer Weg zu sein, Horden bildschöner Töchter fremder Länder nach Dresden zu schicken, damit sie sich dort zu unser aller Wohl um die Nazis kümmern. Aber irgendeinen besseren Weg als den der postmodernen Gutmenschen muss es doch geben, ich komm’ nur nicht drauf. Eine Quelle der Inspiration könnten zwei Mädels sein, die Hitch, frisch aus der Polizeigewahrsam entlassen, mit T-Shirts aufwarteten, die sie zuvor am „Kein Bock auf Nazis“-Stand erworben hatten, nur dass sie das "Kein" abgeklebt hatten, sodass da jetzt „Bock auf Nazis“ stand. „Hey Nazi!“ lächelten sie ihn an, „hast du Lust uns zu ficken?“. Der zuvor sichtlich geknickte Hitch stammelte zwar zuerst etwas von: "Aber ich bin doch gar kein Nazi“, rannte dann aber so schnell seine Springerstiefel ihn trugen in sein Zelt, um nach ein paar Minuten mit einer Familienpackung Kondomen wieder daraus hervorzukriechen. In der Zwischenzeit hatten sich Lilli und Charlotte längst aus dem Staub gemacht, grenzenlos belustigt über ihren geistreichen Scherz, und auch unser Tag war gerettet, als dem verdatterten Hitch klar wurde, dass die Mädels (und das Leben) ihn verarscht hatten und er mit einem Baseballschläger sein Zelt in Stücke schlug.


*Wenn Sie mir das geglaubt haben, besteht vielleicht noch Hoffnung für Sie.



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