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Die Radikale Mitte

Polizeigewalt in den USA - Ein klarer Fall von Rassismus?

Updated: May 27, 2021

Von dieser Tat existiert ein Video: Ein junger Mann liegt am Boden, Gesicht nach unten. Seine Hände sind auf den Rücken gefesselt, ein US-Polizist kniet auf ihm, minutenlang. Der junge Mann kriegt schlecht Luft, er weint, röchelt, am Ende fleht er um sein Leben. Der Polizist macht sich über den in Gewahrsam Genommenen lustig, seine umstehenden Kollegen auch. Kurze Zeit später erstickt der junge Mann unter dem Knie des Polizisten. “He didn’t just die down there, did he?”, fragt der Polizist, als der junge Mann sich nicht mehr regt. “I hope I didn’t kill him.”


​Am 20. April 2021 wurde der US-Polizist Derek Chauvin, der ca. ein Jahr zuvor den schwarzen US-Amerikaner George Floyd getötet hatte, in allen drei Anklagepunkten (Second-degree unintentional murder, third-degree murder, and second-degree manslaughter) schuldig gesprochen. Die Süddeutsche schreibt in einem Artikel: “Jedes andere Urteil, ein abgeschwächter Schuldspruch nur wegen Totschlags oder gar ein Freispruch, hätte das Land an den Rand des Abgrunds gebracht.” Abzüglich des seit einiger Zeit gängigen hyperbolischen Duktus in unseren nach Aufmerksamkeit lechzenden Medien ist diese Aussage vermutlich richtig. Der Eindruck, dass schwarze Menschen in den USA durch rassistische Polizisten weit überproportional häufig getötet oder sogar systematisch ermordet werden, hat nach dem Tod von Trayvon Martin im Jahr 2013 zur Black Lives Matter (BLM)-Bewegung geführt, auch in Berlin existiert einen Ableger. Die TAZ titelte 2013 zur Tötung von Trayvon Martin: "Es ist nicht mehr zu ertragen!" Auch in Deutschland gingen über hunderttausend Menschen für Black Lives Matter auf die Straße.



Dass das so ist, berührt mich. Die Bereitschaft, für Gerechtigkeit zu kämpfen, auch wenn man selbst nicht betroffen ist, ist - denke ich - eine der edelsten Regungen, zu denen Menschen fähig sind. Auf der Gegenseite des emotionalen Spektrums steht berechtigte Wut über die Brutalität, mit der die US-Polizei immer wieder vorgeht. Ca. 1000 Tötungen durch Polizisten verbucht die USA jedes Jahr, ca. 1 Tötung pro 300.000 Einwohnern (1,2). In Deutschland sind es jedes Jahr ca. 15 Fälle, weniger als 1 zu 1 Millionen (3). Angeklagte US-Polizisten werden nur selten verurteilt, selbst in Fällen, in denen die Tötung kaum zu rechtfertigen war. Auch das trägt zur Wut bei. 2013 wurde George Zimmerman, der Schütze im Fall Trayvon Martin, von einer sechsköpfigen Jury freigesprochen, was den BLM-Protest weiter befeuerte. Das nun gefällte Urteil gegen Derek Chauvin im Fall George Floyd ist ein Zeichen, dass Polizisten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie einem Menschen ohne zwingenden Grund sein Leben nehmen. Der Jubel über das Urteil, insbesondere in der schwarzen US-Community ist mehr als verständlich. Auch ich bin froh und erleichtert.


Die Beschreibung der Tat zu Beginn dieses Artikels sowie das dazugehörige Video (https://www.youtube.com/watch?v=_c-E_i8Q5G0&t=242s) stammen dennoch nicht von George Floyd. Sie stammen von einem nahezu identischen Fall, von Tony Timpa, der 2016 in Texas von einem Polizisten getötet wurde, aber dessen Tod kaum Aufmerksamkeit erregte. Es gibt (Stand 04/2021) keinen Wikipedia-Artikel über ihn, keine Proteste seinetwegen, die lokalen texanischen Medien berichteten knapp, in den deutschen Medien lässt sich online ein einziger Artikel im Stern finden. Laut Internet wurden die Polizisten in seinem Fall in allen Anklagepunkten freigesprochen und arbeiten weiter als Polizisten (4). Der einzige signifikante Unterschied zum Fall George Floyd: Tony Timpa war weiß.


​Diese Worte sollen nicht ablenken von den furchtbaren Schicksalen der schwarzen Menschen, die in den vergangenen Jahren durch US-Polizisten ums Leben kamen. Sie sollen keine Andeutung von reverse discrimination sein. Sie sind kein Kampf für “meine eigene Gruppe”. Wenn ich in mich hineinhorche, hoffe ich aufrichtig sagen zu können, dass die Schicksale von George Floyd und Tony Timpa in mir die gleiche Betroffenheit auslösen. Was die Gegenüberstellung jedoch verdeutlichen soll: Die mediale Berichterstattung - in den USA wie in Deutschland - führt zu einer massiven Wahrnehmungsverzerrung. Bei uns allen. Es gilt als gesichert, dass Menschen in ihrer intuitiven Abschätzung von Ereigniswahrscheinlichkeiten eine sogenannte availability heuristic nutzen, die Häufigkeit eines bestimmten Ereignisses also grob danach abschätzen, an wie viele Fälle oder Beispiele sie sich spontan erinnern können (5). Wäre Tony Timpa ein Einzelfall, wäre die Verzerrung des Bildes durch diesen einen nicht adäquat berichteten Fall vernachlässigbar. Aber es gibt unzählige solcher Fälle. Von den ca. 1000 jährlich durch US-Polizisten getöteten Menschen sind mehr als die Hälfte weiß (2). Das ist nicht verwunderlich, ca. 60% der US-Bevölkerung sind weiß (6).


Der schwarze Intellektuelle John McWhorter hat den prominenten Fällen schwarzer Opfer, deren Namen jeder US-Amerikaner kennt, in verschiedenen lesenswerten Artikeln (7, 8, oder siehe Video) jeweils nahezu identische Fälle weißer Opfer der letzten Jahre gegenübergestellt. Niemand kennt ihre Namen, auch in den USA nicht. Was auch er kritisiert: Durch die fehlende paritätische Berichterstattung entsteht das Bild, dass ausschließlich Schwarze unter dubiosen Umständen von der Polizei getötet werden, dabei sind es - rein nach absoluten Zahlen - mehr Weiße.



Als Weißer, Nicht-Betroffener in irgendeiner Form relativierend über das Problem von Polizeigewalt gegen schwarze US-Amerikaner zu schreiben, muss anrüchig wirken. Das weiß ich. Ich würde jedem sofort zustimmen, der anmahnt, dass ich mir kein Urteil darüber erlauben sollte, wie man sich als Mitglied der schwarzen Community in den USA fühlt oder zu fühlen hat. Das tue ich auch nicht. In der Folge werde ich lediglich versuchen, die mir bekannten Daten und Studien zu diesem Thema so ehrlich wie möglich zu präsentieren. Daten sind keine untrügliche Quelle von Wahrheit, sondern bieten Spielraum für verschiedene Interpretationen, die die Wahrheit in die eine oder andere Richtung verzerren können. Dass Sachverhalte gerade durch emotional tief involvierte Personen adäquater beurteilt werden könnten als durch möglichst Unbeteiligte, ist unwahrscheinlich. Wäre das so, würden wir in einem Rechtsstreit das mutmaßliche Opfer entscheiden lassen, keine/n Richter/in. In diesem Sinne hoffe ich, dass dieser Artikel nicht als anmaßend wahrgenommen wird, sondern als zumindest in Teilen wertstiftender Beitrag zu einem großen, komplexen und ungemein wichtigen Thema - der Frage, ob schwarze Menschen in westlichen Gesellschaften um ihr Leben fürchten müssen.


Was sagen also die Daten: Schwarze machen ca. 25% der police killings durch US-Polizisten (killings by law enforcement officers) aus, das sind ca. 250 der jährlich ca. 1000 Todesopfer (2). Da Schwarze lediglich ca. 13% der US-Bevölkerung ausmachen (6), sind sie damit deutlich überrepräsentiert. Das Risiko, durch einen Polizisten getötet zu werden, ist für einen Schwarzen ca. 2,5 Mal so hoch wie für einen Weißen (2, 9). Zu dieser Berechnungsmethode gibt er unzählige Studien (10), auch zu jeglicher Form nicht-letaler Polizeigewalt, die alle zu dem gleichen Ergebnis kommen: Schwarze werden signifikant häufiger Opfer von Polizeigewalt, als es ihrem Bevölkerungsanteil nach zu erwarten wäre. Menschen, die überzeugt sind von tiefgreifendem Rassismus unter US-Polizisten, führen diese Zahlen typischerweise als endgültigen Beweis für ihre Einschätzung an, selbst ranghohe Politiker und Medienvertreter argumentieren regelmäßig auf diese Art (10). Das ist objektiv falsch. Diese Zahlen begründen zwar einen Verdacht, der unbedingt genauer beleuchtet werden muss, aber sie beweisen keine Diskriminierung. Der hier begangene Fehler, einen Unterschied zwischen zwei Gruppen mit Diskriminierung gleichzusetzen, wird sofort an der banalen Analogie deutlich, dass weit mehr als 90% der Opfer von police killings männlich sind (11). Dass das keine Diskriminierung gegen Männer beweist, leuchtet jedem sofort ein. Fragt man nach den Gründen für den wahrscheinlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern, werden die Meisten wohl ohne Umschweife antworten, dass Männer eben deutlich mehr Verbrechen begehen und sich Polizisten gegenüber aggressiver verhalten, demnach auch viel öfter in Konfliktsituationen mit der Polizei geraten werden. 


Analog vertreten Skeptiker der Theorie, dass ein signifikanter Anteil der police killings an Schwarzen rassistisch motiviert sei (darunter schwarze Intellektuelle wie John McWhorter, Coleman Hughes oder Glenn Loury) die Auffassung, dass der korrekte Vergleichswert, mit dem man die Fälle von police killings in Relation setzen sollte, nicht der relative Bevölkerungsanteil der jeweiligen Ethnie, sondern ihre Kriminalitätsrate ist. Die unangenehme Wahrheit: Der schwarze Bevölkerungsanteil in den USA (13% der Gesamtbevölkerung) begeht laut FBI-Statistik ca. 50% der Morde und 56% der Raubüberfälle (12). Auch in den anderen Kategorien sind Schwarze deutlich überrepräsentiert, typischerweise mit ca. 30% (12). Das rechtfertigt keinerlei rassistisches Ressentiment, aber es erklärt, warum Schwarze häufiger Opfer von police killings werden als es ihrem relativen Bevölkerungsanteil entspricht. Mehrere konservative Journalist*innen haben in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass nach dieser Berechnungsmethode das Risiko, Opfer letaler Polizeigewalt zu werden, für Weiße sogar etwas höher liegt als für Schwarze (13). Eine zumindest denkbare Erklärung hierfür könnte sein, dass weiße US-Polizisten nach der Tötung eines Schwarzen völlig zurecht mit einer umfassenden medialen und strafrechtlichen Aufarbeitung rechnen müssen, während das bei der Tötung eines Weißen - wie im Fall Tony Timpa - in den letzten Jahren kaum geschah.


Auch diese Berechnungsmethode ist nicht der Wahrheit letzter Schluss. Ca. 83% der police killings sind Tötungen von bewaffneten und oftmals gefährlichen Personen, die nicht selten als erstes das Feuer auf die Polizei eröffnen (14). Vertreter beider Lager stimmen überein, dass diese police killings grundsätzlich legitim sind. 17% der police killings (170 Fälle pro Jahr) sind jedoch Tötungen unbewaffneter Personen (14). In dieser Subgruppe sind Schwarze ebenfalls deutlich überrepräsentiert, hier ist ihr Risiko ungefähr doppelt so hoch wie das von Weißen (14, 15). Dies ist ein stärkeres Indiz für potentiell rassistische Motivation, jedoch noch kein Beweis. Gemäßigte Stimmen haben angemerkt, dass diese Tatsache unter anderem durch unterschiedliche Wohnverteilungsmuster oder durch unterschiedliche Verhaltensmustern von Schwarzen und Weißen der Polizei gegenüber erklärt sein könnte. Sam Harris erklärt in einem hörenswerten Podcast (paraphrasiert übersetzt): “Auch wenn du scheinbar unbewaffnet bist, heißt das für einen Polizisten nicht automatisch, dass du ungefährlich bist. In einem Land, das bis an die Zähne bewaffnet ist, kann auch ein schneller Griff an den Gürtel für einen Polizisten wirken, als wolltest du eine Waffe ziehen. Wenn man sich einem Verhaftungsversuch widersetzt oder in Richtung des Polizisten fasst, der eine Waffe hält, interpretiert der Polizist das möglicherweise als einen Versuch, ihm die Waffe zu entwenden und gerät selbst in Panik.”



Diese Panik ist nicht völlig unberechtigt. Jedes Jahr werden ähnlich viele Polizisten von Tatverdächtigen Erschossen wie Unbewaffnete von Polizisten (16). Eine Möglichkeit, diese Angst auf Seiten der Polizei zu reduzieren, wären schärfere Waffengesetze (17), doch hiermit tun sich die USA bekanntlich notorisch schwer. Ein anderer, vollauf legitimer Einwand der Sympathisanten von Black Lives Matter (BLM) lautet, dass die höhere Kriminalitätsrate unter Schwarzen durch die deutlich schlechtere sozioökonomische Situation in der schwarzen Community erklärt werden kann, die wiederum zweifellos Folge von Diskriminierung in der Vergangenheit und aktueller Benachteiligung ist. Daten hierzu zeigen eindrücklich, dass das Risiko, straffällig zu werden, sowohl für Schwarze wie auch für Weiße massiv mit sozioökonomischem Status korreliert (18). Dieses Argument deutet jedoch im Umkehrschluss auch an, dass sozioökonomischer Status ein deutlich wichtigerer Risikofaktor dafür ist, einem police killing zum Opfer zu fallen als bloße ethnische Zugehörigkeit. Mit anderen Worten: Ein schwarzer US-Amerikaner, der zur Mittel- oder Oberschicht gehört, hat ein deutlich geringeres Risiko, durch einen Polizisten getötet zu werden als ein Weißer der Unterschicht.


Die Diskussion um dieses Thema wird in den US-Medien längst nicht mehr besonnen, sondern bis aufs Mark erbittert geführt. Zu Beginn des BLM-Protestes im Jahr 2013 wurde deutlich, dass ohne detailliertere Studien, die möglichst alle relevanten Faktoren berücksichtigen, keine sichere Aussage zu rassistisch motivierten police killings möglich ist. In den letzten Jahren wurden zwei solcher Studien publiziert, die eine im Jahr 2017 durch den schwarzen Harvard-Professor Roland Fryer (19) und eine weitere im Jahr 2019 durch die beiden weißen Wissenschaftler Edwards und Esposito (20). Beide Studien fanden (vereinfacht gesagt) keinen Hinweis darauf, dass Rassismus einen relevanten Anteil an den police killings der letzten Jahren hat. Zudem fanden beide Studien, dass schwarze Polizisten schwarze Tatverdächtige sogar mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit töteten als weiße Polizisten. Fryer, der nach eigenen Angaben zuvor fest von einem signifikanten Anteil rassistisch motivierter Taten ausging, zeigte sich erstaunt über das Ergebnis seiner Studie. Beide Studien wurden prompt vom konservativen Lager für die eigenen Zwecke instrumentalisiert, mitunter indem die Studienergebnisse verfälscht dargestellt wurden. So wurde die Fryer-Studie gelegentlich zitiert als Beweis dafür, dass es keinerlei rassistisch motivierte Polizeigewalt gäbe, dabei konnte die Studie für alle Kategorien außer letaler Polizeigewalt (z.B. Beschimpfungen, unbegründete Festnahmen und körperliche Gewalt) einen klaren racial bias zu Ungunsten schwarzer Menschen feststellen.

Im linken Lager wurden die Studien entweder totgeschwiegen oder auf eine Weise unverhältnismäßig heftig attackiert, die nachdenklich stimmen sollte. Dafür, dass wir Linken uns gerne als die Verfechter von Ratio, Wahrheit und Wissenschaft gerieren, wenn die Daten auf unserer Seite sind - zum Beispiel beim Klimawandel - sind wir erstaunlich schnell bereit, wissenschaftliche Evidenz zu leugnen, wenn sie unserer ideologischen Überzeugung zuwider läuft. Die 2019 erschienene Studie von Edwards und Esposito (20) ist zudem emblematisch dafür geworden, wie kompromisslos der Kampf um die gesellschaftliche Deutungshoheit in den USA mittlerweile geführt wird. Nach ihrem Erscheinen erntete die Studie massive Kritik, Grund dafür war eine konkrete Formulierung im Artikel, deren Behauptung formal nicht durch die Methodik der Studie gedeckt war, jedoch für die grundlegende Erkenntnis der Studie keine entscheidende Bedeutung hatte. Auf die inhaltlich völlig berechtigte Kritik hin veröffentlichten die Autoren zunächst eine Korrektur, doch nachdem die massive Kritik aus dem linken Lager nicht nachließ und die inkorrekte Formulierung weiterhin vom konservativen Lager genutzt und verbreitet wurde, zogen die Forscher die Studie zurück. Der Vorfall wirkt auf mich so bedrückend, weil hier wichtige Erkenntnisse möglicherweise einer gesellschaftlichen Orthodoxie zum Opfer fallen, die weitere unparteiische Erforschung des Themas erschwert.


Nach ein paar Tagen der Recherche, die sicherlich nicht genug sind, um die ganze Komplexität ausreichend zu durchdringen, ist meine Einschätzung zu diesem hochsensiblen Thema folgende: Es scheint offensichtlich, dass man kaum eine Polizeieinheit von jedem letzten Rassisten und Psychopathen freihalten kann. Allein daher ist es dringend notwendig, die eigene Einschätzung zu diesem Thema nicht auf emotional aufwühlenden Einzelbeispielen fürchterlicher Polizeigewalt zu basieren, zumal sich für jedes dieser Beispiele problemlos ein weißes Pendant finden lässt. Stattdessen ist es ungemein wichtig, sich ein paar Relationen vor Augen zu führen: Die US-Polizei tötet jährlich ca. 170 unbewaffnete Menschen (1). Das entspricht einem allgemeinen Risiko von ca. 1 zu 1 Millionen pro Jahr. Unter den 170 Opfern sind typischerweise 40-50 Schwarze, das entspricht immer noch einem Risiko von knapp unter 1 zu 1 Millionen, als unbewaffneter Schwarzer Opfer eines police killings zu werden. Auch wenn die Daten das aktuell nicht zeigen, ist es völlig plausibel, dass in Einzelfällen eine klare rassistische Motivation zugrunde liegen könnte. Dennoch: Aktuell gibt es keine klaren Hinweise darauf, dass Rassismus bei police killings eine tatsächliche Rolle spielt. De facto gibt es sogar eher Indizien dagegen. Das ist eine gute Nachricht! Dennoch gibt es ein offensichtliches Problem mit nicht-letaler Polizeigewalt gegen Schwarze, das groß genug ist, um sich darüber zu streiten. Zudem tötet die US-Polizei generell viel zu viele Menschen unter fragwürdigen Umständen, Schwarze wie Weiße. Es müssen effektive Reformen auf den Weg gebracht werden, die police killings deutlich reduzieren. Auch bedeuten die präsentierten Daten natürlich nicht, dass es in den USA (oder anderswo) keinen Rassismus mehr gäbe. Doch die zentrale Behauptung von Black Lives Matter, Schwarze würden aus rassistischen Motiven unter ähnlichen Umständen signifikant häufiger von der US-Polizei umgebracht als Weiße, ist aktuell nicht belegbar. Der Slogan der Bewegung impliziert eine falsche Anschuldigung, die aufgrund ihres furchtbaren Gewichts auf der anderen Seite fast zwangsläufig zu Unverständnis und Abwehr führen muss. Die Behauptungen einiger Aktivisten und Vertreter linkstendierender Medien, es gäbe eine Hetzjagd (21) auf Schwarze oder gar einen politisch gewollten Genozid der schwarzen Bevölkerung (22), sind fatalistische Aussagen gewissenloser Menschen, die diese Welt brennen sehen wollen. Diese Menschen lieben nichts mehr als Gruppenkampf und hassen nichts mehr als Versöhnung. Wir müssen begreifen, wie gefährlich diese Menschen sind! Sie sind ähnlich gefährlich wie ihre rechten Counterparts, und wir dürfen diesen Tugendheuchlern keinerlei Gehör schenken.


What black people think matters!

Nicht nur, weil ihre Meinung für den öffentlichen Diskurs enorm wichtig ist. Es ist wichtig, weil die eigene Interpretation der Umstände Rückwirkungen hat auf das eigene Leben. Eine kürzlich veröffentlichte Studie konnte zeigen, dass die seelische Gesundheit schwarzer US-Amerikaner nach der Tötung eines Schwarzen durch die Polizei signifikanten Schaden nimmt (23). Für Weiße konnte die Studie solch einen Effekt nicht nachweisen, auch dann nicht, wenn das Opfer des police killings weiß war. Primärer Grund hierfür ist - davon bin ich überzeugt - die exzessive Medienberichterstattung über schwarze Opfer von police killings, die schwarzen Menschen suggeriert: “Du bist in Gefahr, du könntest der Nächste sein!” Diese mediale Illusion erzeugt unnötig seelisches Leid in der schwarzen Community.

Einen weiteren wichtigen Aspekt benennt Coleman Hughes in einem ebenfalls sehenswerten Interview: “Ein junger, schwarzer Mann hat ein etwa 10-fach höheres Risiko, durch ein anderes Mitglied aus seiner schwarzen Community getötet zu werden, als durch einen Polizisten. Können wir offen darüber reden?” (24). “Was wir brauchen”, sagt Hughes, “ist mehr Polizeipräsenz in den schwarzen Communities, nicht weniger.” Der falsche Eindruck, dass das eigene Risiko durch Polizeipräsenz nicht sinke, sondern steige, hat viele Schwarze tief misstrauisch gegenüber der Polizei werden lassen (25). US-Polizisten wiederum geben an, dass die Art der Medien-Berichterstattung in den vergangenen Jahren ihre Arbeit deutlich erschwert und eher zu einem underpolicing in Gegenden mit hoher Kriminalität geführt hätten (25).



Ein weiterer Aspekt, der sich nur schwer beweisen lässt, aber auf mich plausibel wirkt, ist die Hypothese, dass Schwarze aus dem allgegenwärtigen, durch die Medien amplifizierten Gefühl von Ungerechtigkeit heraus (25) dazu neigen könnten, sich bei Polizeikontrollen oder versuchten Verhaftungen eher körperlich zu widersetzen. Auch wenn das menschlich verständlich und in gewissen Fällen vollauf gerechtfertigt sein mag, erhöht das die Gefahr für das eigene Leben dramatisch. Wiederum ist Sam Harris - Milk Toast wie ich - der einzige, den ich dazu etwas Vernünftiges habe sagen hören. Natürlich hat er leicht reden, aber dennoch (paraphrasiert übersetzt): “Wenn ein Cop dich verhaften will, oder befragen, oder dein Auto durchsuchen, und du weißt, du hast nicht gemacht, und was der Cop tut ist unfair oder nicht rechtens, dann ist es umso wichtiger, zu kooperieren, bis du auf der Polizeiwache zusammen mit deinem Anwalt die Sache gerade rückst. Dann ist die Zeit, um Bad Cops zur Rechenschaft zu ziehen, nicht draußen im Eifer des Gefechts, zu deinem eigenen Schutz. Auch wenn es unfassbar ungerecht sein mag, aber da steht eine Person mit einer Knarre vor dir.” Er hat Recht. Postmoderne Links-Idioten verwechseln solche Aussagen gerne mit victim blaming, aber wenn BLM oder die Mainstream-Medien ein wirkliches Interesse daran hätten, Leben zu schützen, dann wäre das die wichtigste Botschaft, an Schwarze wie Weiße. Nicht ein Aufruf zu zivilem Ungehorsam, der zu noch mehr Konfrontation zwischen schwarzen Demonstrierenden und der Polizei und zu noch mehr Hass auf beiden Seiten führt.

Zuletzt haben die - auf falschen Annahmen beruhenden - BLM-Proteste in vielen Teilen des Landes zu schweren Ausschreitungen geführt. Dabei wurden von (einigen wenigen) Protestierenden Autos angezündet, Läden geplündert und zerstört, andere Schwarze schwer verletzt. Diese Zerstörungen fanden zum Großteil in den schwarzen Communities selbst statt. Ich möchte noch einmal klarmachen: Selbst für diese Ausschreitungen habe ich großes Verständnis. Für die unfassbare Wut in den schwarzen Communities habe ich großes Verständnis. Wenn ich den ganzen Tag von den Medien mit der Botschaft bombardiert werden würde, dass in meinem eigenen Land die Staatsgewalt, die mich beschützen soll, Menschen meiner Community aus rassistischen Motiven reihenweise mutwillig ermordet und sich nichts daran ändert (die Rate von police killings ist seit Jahren konstant, auch der Anteil an Schwarzen unter den Opfern)... Ich weiß nicht, was ich täte. Vielleicht Schlimmeres als die BLM-Randalierer. Aber wir sollten uns überlegen, ob wir der BLM-Bewegung tatsächlich Preise für soziales Engagement und Gerechtigkeit verleihen sollten, wie beispielsweise den letztjährigen Olof-Palme-Preis. Die BLM-Bewegung steht tendenziell für Rassenkampf und Gewalt, nicht für Frieden, was laut Olof-Palme-Stiftung eines der Hauptkriterien für die Preisverleihung sein soll. Das civil rights movement von Martin Luther King hat gezeigt, wie man sich selbst gegen brutale Unterdrückung effektiv zur Wehr setzen kann, ohne selbst Unrecht zu tun. BLM ist eher ein Verrat an diesen Idealen als ihre Fortsetzung.


Also wem können wir die Schuld geben? Immerhin leben wir Menschen davon, einen Schuldigen zu suchen und zur Rechenschaft zu ziehen. Ich finde, man kommt nicht darum herum, eine Hauptschuld bei linkstendierenden Medien zu verorten, denen jedes Tragödie im immer härter werdenden Kampf um allgemeine Aufmerksamkeit absolut gelegen kommt, um mit großen, pathetischen Worten den angeblich omnipräsenten Rassismus ihrer Mitmenschen anzuprangern (natürlich insbesondere des ideologischen Gegner, sie wissen schon, wer...). Damit steigern sie nicht nur ihre Beliebtheit bei ihrer Zielgruppe, sondern können noch dazu ihre eigene, links-postmoderne Seele tätscheln, indem sie sich als Alliierte der schwarzen Community zelebrieren. Dieses billige mediale virtue signalling, das auch bei uns immer mehr zunimmt, ist in den USA kurz davor, die Gesellschaft zu sprengen. Es sind nicht die wenigen gewissenlosen Cops, es ist nicht BLM, es sind vor allem die linken Eliten in den Schaltzentralen der Medien, die sich selbst auf diese Weise geschickt aus der Schusslinie bringen, wenn mal wieder jemand die Frage nach Privilegien stellt. Privilegiertheit verpflichtet (bekanntermaßen), und so können wir - die linken Eliten - uns das Leben möglichst leicht machen: Absolute Unterstützung kundtun, damit sind wir aus dem Schneider. Doch nichts auf der Welt ist umsonst, und der Preis für diesen wohlfeilen Stunt, den die Gesellschaft zu tragen hat, ist hoch. Wenn ausgewogene, seriöse Berichterstattung zugunsten emotionaler Meinungsmache á la BILD-Zeitung geopfert wird, stehen sich am Ende zwei verfeindete ideologische Gruppen gegenüber. Das ist verantwortungslos. Die Medien instrumentalisieren - in den USA noch viel stärker als bei uns - das Leid einer unterprivilegierten Gruppe, um sich selbst und das eigene ideologische Lager zu pushen. Diese bewusste Desinformation nützt niemandem außer den Medien selbst, und schadet niemandem mehr als der schwarzen Community.


What we think matters!

Auch wenn es sich bei letaler Polizeigewalt um ein Problem handelt, das bei uns in dieser Form keine dominante Rolle spielt. Doch auch wir gehen auf die Straße in dem Irrglauben, die Daten belegten eindeutig die systematische, rassistisch motivierte Tötung von Schwarzen durch weiße US-Polizisten. Auch wir verschwenden keine Sekunde an den Gedanken, dass unsere gut gemeinte Solidarisierung auch negative Auswirkungen haben könnte. Auch in Deuschland leben schwarze Menschen, die wie jeder von uns nach availability heuristic funktionieren, und die durch unser Tugendgebaren möglicherweise unnötigerweise das Gefühl bekommen, in westlichen Gesellschaften um ihr Leben fürchten zu müssen und der Polizei nicht vertrauen zu können.



Effektiv für mehr Gerechtigkeit zu kämpfen ist nicht leicht. Es ist eine komplexe Sache. Mehr Menschen zu Glück und Sicherheit zu verhelfen ist nicht leicht. Wenn wir voreilig und auf Basis falscher Tatsachen agieren, richten wir damit mit hoher Wahrscheinlichkeit genau dort Schaden an, wo wir doch eigentlich helfen wollten. Effektiver Altruismus braucht Klarsicht. Daher sollten wir auf die Frage, wer an der um sich greifenden Desinformation in beiden politischen Lagern - rechts wie links - Schuld ist, auch mal einen Blick in den Spiegel wagen. Was wir glauben, ist nicht egal! Wir teilen unsere Überzeugungen, und andere Menschen, die ebenso wie wir nicht ausreichend Zeit und Muße haben, jedes Detail selbst zu überprüfen, glauben und verbreiten ihrerseits, was sie von uns gehört haben, als sei es die sichere Wahrheit. Wir müssen uns mehr Mühe um die Wahrheit machen! Wir selbst müssen besser werden, wenn diese Welt besser werden soll.


Quellen

1 https://www.nature.com/articles/d41586-020-01846-z

2 https://www.washingtonpost.com/graphics/investigations/police-shootings-database/

3 https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_killings_by_law_enforcement_officers_in_Germany

4 https://heavy.com/news/2019/08/tony-timpa/

5 Amos Tversky, Daniel Kahneman: Judgment under uncertainty: Heuristics and biases. In: Science. 185, 1974, S. 1124–1131.

6 https://en.wikipedia.org/wiki/Race_and_ethnicity_in_the_United_States

7 https://time.com/4404987/police-violence/

8 https://quillette.com/2020/06/11/racist-police-violence-reconsidered/

9 Edwards, F., Hedwig, L. & Esposito, M. Proc. Natl Acad. Sci. USA 116, 16793-16798 (2019)

10 https://www.washingtonpost.com/graphics/2020/opinions/systemic-racism-police-evidence-criminal-justice-system/

11 https://www.statista.com/statistics/585149/people-shot-to-death-by-us-police-by-gender/

12 https://ucr.fbi.gov/crime-in-the-u.s/2013/crime-in-the-u.s.-2013/tables/table-43

13 https://www.wsj.com/articles/the-myth-of-systemic-police-racism-11591119883

14 DeGue et al., Deaths Due to Use of Lethal Force by Law Enforcement, Am J Prev Med. 2016 November ; 51: S173–S187.

15 Nix, J., Campbell, B. A., Byers, E. H. & Alpert, G. P. Criminol. Public Policy 16, 309–340 (2017).

16 https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_law_enforcement_officers_killed_in_the_line_of_duty_in_the_United_States#2020_2

17 https://www.nature.com/articles/d41586-019-02601-9

18 https://www.peoplespolicyproject.org/2018/01/30/mass-incarceration-new-jim-crow-class-war-or-both/

19 Roland G. Fryer, Jr., An Empirical Analysis of Racial Differences in Police Use of Force

20 Frank Edwards, Hedwig Lee and Michael Esposito, Risk of being killed by police use of force in the United States by age, race–ethnicity, and sex

21 https://www.theguardian.com/commentisfree/2019/nov/15/black-americans-genocide-open-season

22 https://www.amazon.de/Open-Season-Legalized-Genocide-People/dp/0062375091

23 Bor et al., Police killings and their spillover effects on the mental health of black Americans: a population-based, quasi-experimental study

24 Esposito et al., "Risk of being killed by police use of force in the United States by age, race-ethnicity, and sex", PNAS

25 https://www.pewresearch.org/fact-tank/2020/06/03/10-things-we-know-about-race-and-policing-in-the-u-s/








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